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Gnade, Erlösung und Barmherzigkeit als wichtigste Botschaften des Christentums

Von Wuppertal zum Theologiestudium nach Tübingen

Was für Prof. Dr. Heinz Bude das Katholische ist, wie er seinen Glauben sieht und dass Solidarität eigentlich sehr egoistisch ist, erzählt der Gründungsdirektor des documenta Instituts im 15. Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel. Heinz Bude wuchs am Rande des Ruhrgebiets in Wuppertal auf. „Das ist eine Stadt voller Pietisten“, erzählt er. Umso überraschender ist es, dass Bude dann nach Tübingen zieht und mit einem Theologiestudium beginnt. „Ich war ein junger Mensch, der wissen wollte, was die Welt zusammenhält.“ Priester wollte er jedoch nicht werden, aber Religionslehrer.

Das Leben hat einen Sinn

Für Prof. Bude wird Glaube vor allem in bestimmten Grenzsituationen relevant, wo man nicht mehr so richtig weiß, wie das Geschehen in den Kategorien des normalen Lebens zu interpretieren ist. „Ich erinnere mich an eine gute Freundin. Ihr drittes Kind starb im Alter von sechs Monaten auf einem Flug nach Südamerika.“ Sie fragte Bude wo er glaube, dass das verstorbene Kind nun sei. „Da habe ich aus vollstem Herzen gesagt: Es ist im Himmel. Das habe ich auch geglaubt, und das glaube ich heute noch.“

Der Soziologe ist der Ansicht, dass wir in einer Welt leben, die sich in einem Zustand von „fünf nach zwölf“ befindet“. Er sieht „die Bedingungen des Klimawandels in den Grundfesten nicht mehr reduzierbar.“ Er befürchtet weitere Extremwetterereignisse und neue Problematiken der Nahrungsmittelversorgung in Europa. Bude ist pessimistisch: Der Klimawandel lasse sich nicht mehr umkehren, selbst wenn die Welt auf einmal stillstehe. „Aber die Idee, dass man trotzdem weiterlebt und dass das Leben in dem Moment, in dem es lebt, einen Sinn hat, das ist für mich eigentlich ein Moment von Glaubensrelevanz.“ Das sei auch für Leute relevant, denen es gutgeht, die einigermaßen versorgt sind und die irgendwie Bezugspersonen haben, die sie lieben. Das alles reiche laut Bude nämlich nicht, die Welt so anzunehmen, wie sie ist.

„Ich bin kein Freund von Werten“

Fragt man Prof. Bude nach den Werten die seine täglichen Entscheidungen prägen, bekommt man eine unerwartete Antwort: „Ich bin kein Freund von Werten. Ich mag Werte nicht.“ Werte seien für ihn irgendetwas im Himmel, an dem man sich orientiere solle. Und er ergänzt: „Ich mag den Begriff der Tugenden viel lieber.“ Tugend sei ein handlungs- und existenzrelevanter Begriff. „Ich verteidige nirgendwo Werte. Ich versuche, Tugenden zu beherzigen, und ich kann auch Tugenden und tugendhaftes Verhalten von anderen Menschen verlangen.“ Die drei wichtigsten Tugenden in Budes Leben, zu denen er auch andere ermutigen möchte, seien Mut, Gerechtigkeit und Solidarität!

Solidarität ist nur durch eine Erfahrung des Ichs zu gewinnen

Solidarität sei ein sehr beliebter Begriff geworden, sagt Bude. Er sehe sogar eine Inflation in der Benutzung seit der Pandemie. „Ich glaube, viele Leute mögen das Wort nicht.“ Er findet, dass der Begriff etwas abgewirtschaftet sei. Deshalb sei es sehr wichtig, sich über den Kern von Solidarität zu verständigen. „Solidarität entstehe nicht durch ein vorgegebenes Wir.“ Er glaube nicht daran, dass die Arbeiterbewegung, Sozialdemokratie, Christdemokratie, die Umweltbewegung, die Frauenbewegung oder die queere Bewegung die Quelle der Solidarität seien können. Alle Formen von einem vorgegebenen Wir, die Solidarität verlangen, seien für die meisten Leute nicht mehr das echtes Verständnis von Solidarität.

„Ich bin ein katholischer Christ.“

Das spezifisch Katholische sieht Bude in „einer Welt bejahenden Vorstellung von der Bestimmung des Menschen in der Welt.“ Für Katholiken sei Gott schon immer da gewesen und ist immernoch da, nämlich in Gestalt seiner Kirche. „Protestanten würden nicht unterschreiben, dass Gott in der Gestalt seiner Kirche da ist.“ Vor allem, wenn man sich die katholische Kirche von heute anschaue, dann denke man eher, dass es eine „ganz schön menschliche bis verdorbene Existenz Gottes“ in der Welt sei. Bude: „Aber das ist katholisch. Welt-Daseins-Akzeptanz in einer katholischen Haltung bedeutet, dass man das Gefühl hat: Es gibt nur dieses eine Leben und es gibt kein anderes und Gott ist präsent in seiner Kirche.“ Auch für den Katholiken Bude ist Gott in seiner Kirche präsent. „Ich bin kein Kirchgänger, aber ich bin ein katholischer Christ“, bekennt der Soziologe. Er verbinde das nicht mit einem rein persönlichen Gottesglauben. „Ich suche nicht eine unmittelbare Beziehung zu Gott, sondern ich weiß, dass meine Beziehung zu Gott durch die Kirche vermittelt ist.“ Er selber könnte nicht nach den Gelübden Armut, Keuschheit und Gehorsam leben. „Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die das für mich tun und das im Kontext Kirche tun.“ Deshalb sei ihm die Kirche auch so wichtig. Trotz der Missbrauchsskandale ist Bude nicht aus der Kirche ausgetreten. „Ich glaube, dass die Kirche für mehr als 45 Millionen Menschen in Deutschland eine große Bedeutung hat.“

Gnade - Erlösung - Barmherzigkeit

Die erste wichtige Botschaft des Christentums habe für den Katholiken etwas mit Gnade zu tun. „Gnade ist ein ganz wesentlicher Begriff. Gnade sagt, dass meine Existenz in der Welt von etwas abhängig ist. Es ist nicht nur mein eigenes geschaffenes Leben. Die Gnädigkeit Gottes erlaubt mir ein Leben in der Welt mit einer gewissen Art von Freundlichkeit der Welt.“ Diese Gnadenfähigkeit sei für ihn der wichtigste Punkt. Der zweitwichtigste Begriff sei für Bude die Erlösung. „Ich glaube, es gibt keine Idee, über Erlösung zu denken, jenseits des Gottesglaubens.“ Er glaube nicht, dass man durch eine gute Gesellschaft, eine Art der Selbstversenkung oder durch bestimmte Meditationstechniken erlöst werde. „Das glaube ich alles nicht.“ Er glaube, „dass die Welt wirklich nur in Bezug auf Gott erlöst gedacht werden kann.“ Und der dritte wichtige Begriff des Christenstums sei für ihn Barmherzigkeit. „Sie ist eine Fähigkeit, sich den Menschen jenseits der Gerechtigkeit zuzuneigen.“ Diese drei Begriffe seien nur im Kontext der Kirchen und der Religion zu formulieren. Bude: „Wenn wir diesen Kontext verlieren, dann sind diese drei Begriffe auch weg.“

„Meiner Ansicht nach ist Solidarität etwas, das durch eine bestimmte Erfahrung des Ichs zu gewinnen ist. Ich werde aus einer bestimmten Erfahrung des Ichs heraus zur Solidarität genötigt.“ Das sei zum Beispiel die simple Erfahrung, dass man nicht allein ist auf der Welt. Es gebe viele Menschen, die im inneren Herzen glauben, man sei alleine auf der Welt. „Weil man das empfinden kann, dass man alleine auf der Welt ist, also eine Erfahrung der Einsamkeit machen kann, weiß man was Solidarität bedeutet.“ Außerdem habe Bude den Eindruck, dass der Begriff der Solidarität eher von Populisten und der Rechtsbewegung bewirtschaftet werde. „Sie rufen zur Solidarität auf, zur Solidarität des Volkes. Das ist eine Idee exklusiver Solidarität: Nur Solidarität für uns, aber nicht für die anderen.“ Diese Idee einer exklusiven Solidarität könne man nur brechen, wenn man eine interne Idee von Solidarität über eine bestimmte Erfahrung des Ichseins in der Welt empfinde. „Deshalb glaube ich, dass Solidarität eigentlich nur durch das Nadelöhr des Ichs zu gewinnen ist. Ich kann niemanden rational davon überzeugen, dass er solidarisch sein sollte.“

Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Citypastoral, Kassel Marketing und der GALERIA. Kerstin Leitschuh redet mit interessanten Personen aus Gesellschaft, Kultur oder Politik über Werte und Welt, Hoffnungen und Haltungen, Glück und Gott.

Text: Kerstin Leitschuh

Fotos: Marcus Leitschuh