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Siebtes Feierabendgespräch mit Dr. Dirk Pörschmann: „Ich glaube, dass das Göttliche im Lebendigen steckt.“

Dr. Dirk Pörschmann war Gast beim siebten Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel in der Event Lounge beim Kassel Service Point in der GALERIA. Er leitet das Museum und Zentralinstitut für Sepulkralkultur in Kassel und ist Geschäftsführer des Trägervereins, der Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal e. V. Kerstin Leitschuh sprach mit ihm über Leben, Sterben, Gott und Trauer. Sie wollte gleich am Anfang wissen, wie es ist, in einem Museum für Sterbekultur, Tod und Trauer zu arbeiten.

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Das Museum hat das eigene Leben verändert

Die Arbeit im Museum habe eine konkrete Veränderung in Pörschmanns Leben gebracht: „Es gebe meine Tochter nicht, wenn ich nicht in diesem Museum arbeiten würde.“ Er habe sich so intensiv mit dem Tod beschäftigt, dass in ihm der Wunsch nach neuem Leben aufkam. „Ich wollte das Leben sehen und lebendig sein. Mit 50 Jahren bin ich Vater geworden. Es ist wichtig, dass man – in welcher Form auch immer – Lebendigkeit spürt.“

Endlichkeit

Leben gebe es immer nur jetzt. Pörschmann: „Wir wissen, dass wir alle mit einer Wahrscheinlichkeit von 100 Prozent sterben werden.“ Unser Leben ist endlich, wir wissen jedoch nicht, wann das sein wird. Für ihn sei Leben nur mit einer Endlichkeit denkbar. „Sonst wäre es kein Leben, sondern etwas anderes.“ Die Frage nach der eigenen Endlichkeit helfe den Platz in der Gesellschaft und im Leben zu finden. „Die Auseinandersetzung mit der Endlichkeit und dem Sterben erdet mich immer wieder, wenn ich mich über die beschwerlichen Kleinigkeiten des Alltags aufrege oder dass etwas nicht klappt.“ Das Bewusstsein der Endlichkeit relativiere viele Dinge. „Wir sind jetzt hier, wir haben jetzt unsere Zeit und wissen nicht, wie lange sie noch dauern wird“, gibt Pörschmann zu bedenken.

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Leben nach dem Tod?

Auf die Frage, was nach dem Tod passiert, antwortet er zunächst aus kultureller Sicht. „Diese Frage ist eine anthropologische Konstante.“ Menschen haben immer zu allen Zeiten, in allen Kulturen, in allen Epochen ihre Angehörigen bestattet und betrauert. Damit einher gehe die Frage, wo der verstorbene Mensch dann sei. „Das ist doch eigenartig: Der Körper ist noch da, aber das Leben ist vorbei. Und wo ist der Mensch jetzt? Wo ist das, was ihn lebendig gemacht hat?“ Pörschmann beantwortet es für sich so: „In meiner Vorstellung löst sich mit dem Tod die Seele vom Körper und geht – in welcher Form auch immer – in einen anderen Zustand über. Ich glaube nicht, dass sie verloren geht.“ Hat er Angst vor dem Tod? „Ich habe Angst vor dem Sterben, weil ich nicht weiß, wie es sein wird. Angst vor dem Todsein, vor der Nichtexistenz habe ich nicht. Ich weiß ja, dass ich die längste Zeit überhaupt nicht existiert habe, das hat nicht weh getan. Warum soll es mir nach dem Tod weh tun.“

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Im Museumsalltag lebt Pörschmann aus der Gemeinschaft heraus. Er erzählt: „Wir sind im Museum ein Team von 15 Personen. Alles kann nur gemeinschaftlich entstehen.“ Auch privat möchte er Gemeinschaft leben: „Ich wünsche mir ein gemeinschaftliches Wohnen in Vielfalt und wo jeder nicht nur hinter seiner verschlossenen Tür lebt.“ Vereinzelung tue niemandem gut, da ist Pörschmann davon überzeugt. Dass die Einsamkeit in der Gesellschaft ein wachsendes Thema sei, sehe man auch in der Bestattungskultur. „Immer mehr Menschen sterben ganz allein, haben keine Angehörigen oder Zugehörigen.“ Dem müsse man etwas entgegensetzen. Pörschmann ist davon überzeugt, dass Gemeinschaft eine große Widerstandskraft und Kraft gebe. „Mein Eindruck ist, dass der einsame Mensch anfälliger ist als der Mensch in Gemeinschaft.“
Gemeinschaft bedeutet für Pörschmann Glück. „Ich bin glücklich, wenn ich von Menschen umgeben bin, mit denen ich einen schönen Abend verbringen darf oder ein schönes Gespräch führe.“

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Pörschmann führt aus, dass in jedem Jahr in Deutschland ungefähr eine Millionen Menschen sterben. Man gehe davon aus, dass zu jedem Verstorbenen drei bis vier Trauernde gehören. Das hieße, dass es drei bis vier Millionen Menschen gebe, die unterschiedlich lang trauern. So seien permanent zehn Prozent der Menschen in Trauer. „Sie begegnen uns dauerhaft im Leben“, erinnert er. „Es gibt so viel zu betrauern. Wir müssen darüber diskutieren, wie man die Trauer wieder aus dem Privaten holt und in der Gesellschaft sichtbarer macht.“

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„Ja, das ist sehr bereichernd“, sagt Dr. Pörschmann. Das Museum vermittle die Endlichkeit des Lebens und versuche ein Endlichkeitsbewusstsein in der Gesellschaft zu implementieren. „Die Akzeptanz, dass wir sterben ist elementar für ein gelingendes Leben und gelingendes Sterben“, davon ist der Museumsleiter überzeugt. Wenn das Sterben gelingen solle, müsse man sich früh mit dem Thema auseinandersetzen. „Das bieten wir als Museum. Die Omnipräsenz des Todes in unserem Museum weckt bei vielen Menschen die Lebensgeister!“

Seine Arbeitsstelle in diesem deutschlandweit einzigartigen Museum fördere auch viele Fragen im privaten Umfeld, wenn der Museumsleiter sagt wo er arbeitet. „Da kommen zunächst ganz konkrete Fragen wie beispielsweise nach der Anzahl der Menschen, die jährlich verbrannt werden.“ Schnell komme man dann aber an das Persönliche: Was hast Du Dir für Dich vorgestellt? Wie war es bei Deinen Eltern, als sie verstorben sind? Seine Erfahrung zeige: „Man ist schnell im persönlichen Gespräch und das ist immer sehr lebendig.“

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Was ist Gott?

„Ich glaube, dass das Göttliche im Lebendigen steckt“, antwortet Pörschmann sehr klar auf die Frage nach Gott. „Ich glaube, dass das Göttliche ganz präsent ist - auch wenn es in diesen Zeiten schwer zu sehen ist. Aber man findet es. Ich glaube auch, dass es ganz viel mit Liebe zu tun hat und in der wahrhaften zwischenmenschlichen Begegnung zu finden ist. Es gibt diesen Zauber des Lebens.“ Pörschmann entdeckt das Göttliche in kurzen Momenten menschlicher Begegnung, wo Menschen aufeinander zugehen: „Man sieht, die beiden begegnen sich gerade auf einer zwischenmenschlichen Ebene, die besonders ist: wahrhaftig und mit ihrem ganzen Sein.“
Ein weiterer Bereich, in dem Pörschmann Göttliches sieht, ist die die Natur. Die Jahreszeiten sind ihm wichtig. „Ich spüre im Herbst das Sterben in der Natur“, sagt er. „Ich weiß aber auch, es gibt im Frühjahr eine neue Auferstehung.“
Der Museumsleiter glaubt, dass es eine gestaltende Kraft gibt, die alles hat entstehen lassen und immer noch mitgestaltet. „Ich kenne nicht so genau meine Rolle“, bekennt er. „Deswegen sehe ich meine Aufgabe darin, dass ich hier bin und mein Leben so sinnvoll wie möglich für mich und meine Mitmenschen gestalte.“ Schließlich gebe es für ihn auch Werte, die sich über das Göttliche vermitteln. Diese setzen im Christentum beim Thema Nächstenliebe an.

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Gemeinschaft

Als Symbol für einen ihn leitenden Wert hat Dr. Pörschmann zum Gespräch einen Ball mitgebracht: „Er steht für mich für Lebendigkeit, für das Spielerische.“ Als Einzelkind war ihm sein Spielball sehr wichtig um Gemeinschaft zu erleben. „Das ist für mich der wichtigste Wert. Wir leben in polarisierten Zeiten.“ In diesen müssen die Menschen immer wieder betonen, dass es nur gemeinschaftlich gehe, dass Gemeinschaft ein zentraler Wert sei. „Es ist mir wichtig, die Polarisierung aufzuheben. Wir sind keine Feinde. Wir sitzen alle im selben Boot. Wir sind Menschen und agieren gemeinschaftlich.“ So funktioniere auch der Ballsport. Pörschmann war Handballer und habe in diesem Sport das gemeinsame Tun erst richtig verstanden. „Der Ball ist wie das Leben: auch nur bis zu einem gewissen Punkt zu kontrollieren, manchmal macht er was er will.“ Der Ball sei für ihn Sinnbild für das Leben, das fordere ihn heraus, flexibel zu bleiben und nicht nur seine Vorstellung wie etwas zu gehen hat zu haben. „Unser Leben ist wie der Ball zum Glück nicht berechenbar.“

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Was braucht die Welt 2022 am dringendsten?

„Ich glaube wir haben verlernt, traurig zu sein und Trauer als etwas Verwandelndes zu erleben.“ Wenn wir ohnmächtig und hilflos sind – was jeder Mensch in unterschiedlichsten Formen erlebe – können wir depressiv und mit Rückzug oder wütend und aggressiv reagieren. Pörschmann glaubt, dass keiner der beiden Wege richtig sei. Er ist davon überzeugt, dass es immer wichtig sei, erstmal innezuhalten: „Ja, das was gerade passiert ist traurig und zu bedauern. Das akzeptiere ich und ich nehme mir die Zeit, durch die Trauer auch wieder Kraft zu sammeln.“ Wir machen alle viele Verlusterfahrungen in unserem Leben: Manche verlieren ihre Heimat, manche verlieren ihren Beruf, manche verlieren den Ehepartner – Verlusterfahrungen gehören zu unserem Leben. Sie seien ganz zentral. „Innezuhalten und zu sagen: Das, was gerade bei mir oder meinem Gegenüber passiert, ist etwas sehr Trauriges, was es auch zu betrauern gilt. Das ist etwas sehr Menschliches.“ Damit ermögliche man jemandem, der einen Verlust erlitten hat, dass man ihn trösten könne.

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Tin Glavocevic begleitete das Gespräch mit seiner Gitarre.

Die Feierabendgespräche sind eine Kooperation von Kassel Marketing, der Citypastoral Kassel und der GALERIA.

✍️ Kerstin Leitschuh
📷 Marcus Leitschuh