Kassel, Berlin, Paris, New York. Katharina Koch hat Politikwissenschaft und Publizistik studiert, im Bundestag und bei den Vereinten Nationen gearbeitet. Heute ist sie Fleischermeisterin im „Wurstehimmel“, einem Fachbetrieb für die nordhessische „Ahle Wurst“ in einem kleinen Ort unweit von Kassel. Sie war Gast beim 24. Feierabendgespräch der Citypastoral.
Dass Katharina Koch heute einen seit 1877 bestehenden Familienbetrieb in fünfter Generation führt sei „familiär bedingt“, sagt sie schmunzelnd. Die Brüder, die eigentlich für die Nachfolge vorgesehen waren, wollten nicht. Und so fragte ihr Vater sie. Damals war sie in New York und für die Vereinten Nationen tätig. Kam diese Frage gänzlich ungelegen? „Nein“, sagt sie. „Ich hatte tatsächlich bis dahin nichts gefunden, bei dem ich dachte, das könne ich beruflich die nächsten 30 Jahre machen.“ Ins klassische Handwerk zu gehen, sich ausbilden zu lassen, erschien ihr sinnvoll. „Und ich habe es bis heute nicht bereut“, sagt sie mit großer Leidenschaft. „Zuhause im Betrieb habe ich immer ganz konkret die Auswirkung der Arbeit gesehen.“ Deswegen fiel es ihr vorher schwer in Bereichen und Institutionen zu arbeiten, die sehr schwerfällig sind. „Man weiß am Abend eigentlich gar nicht, was man getan hat und welche Auswirkungen die eigene Arbeit wirklich hat.“
Dennoch habe sie sich diesen Neuanfang gut überlegt. Katharina Koch gibt auch zu, dass sie etwas Angst, zumindest großen Respekt davor hatte. „Es waren ja auch große Fußstapfen“, erinnert sie sich. „Man möchte ja dann nicht diejenige sein, die nach vier Generationen dann in der fünften für das Ende des Betriebs sorgt.“
Und wie war der Weg zur Entscheidung? Der intensive Austausch mit ihrem Vater stand im Vordergrund. Koch: „Natürlich habe ich mich auch mit meinem Freundeskreis ausgetauscht und dann abgewogen. Am Ende muss man es mit sich selbst ausmachen.“ Diesen Schritt nur für die Familie zu gehen und selber keine Freude daran zu haben, das hält sie für keine gute Idee. „Klar muss man auf manche Dinge verzichten und sich vielleicht hier und da in einem eigenen Betrieb etwas mehr einbringen. Aber man muss es wirklich wollen, aus sich heraus und auch für sich selbst“, sagt die Unternehmerin aus Überzeugung.
Gott hat jeder in sich
Als Kind habe ihr ihre Mutter immer mal wieder auch biblische Geschichten vorgelesen. „Die kann man durchaus in verschiedenen Lebenssituationen anwenden.“ Gott, so glaubt Katharina Koch, ist für jeden Menschen etwas Individuelles. „Ich denke, dass Gott etwas ist, dass jeder in sich hat. Etwas, das die Lücke füllt, die man mit Verstand und Wissenschaft nicht erklären kann.“ Da gehe es um die Fragen nach einem höheren Sinn, nach einem Zusammenhang. „Das treibt die Menschen seit Jahrtausenden an und ist auch noch nicht zu Ende.“
Die Menschen, die ihr nahestehen, wie der Partner, Freunde oder Familie aber auch der fast 150 Jahre alte Betrieb und der Beruf geben ihr Halt und sind eine feste Konstante im Leben. „Gerade wenn schwierige Zeiten anstehen oder Krisen auftauchen. Die Generationen davor haben ganz andere Dinge überstanden, beispielsweise zwei Weltkriege. Führt man sich das vor Augen, dann sieht man alles aus einer weiteren Perspektive. Das hilft mir.“
Mehr Toleranz
Ein respektvoller Umgang miteinander und gemeinschaftliches Denken seien für ihr Leben prägend. Aber auch ein Ausgleich der verschiedenen Interessen liege ihr sehr am Herzen: „Ich haben den Eindruck, dass alles sehr polarisiert ist. Das Motto ist: Wenn Du nicht für mich bist, dann bist Du gegen mich.“ Sie wünsche sich mehr Toleranz für die Meinung und Interessen des anderen.
Kochs Betrieb hat auf E-Mobilität umgestellt und hat den Kohlendioxid-Fußabdruck des Betriebs erfassen lassen. Damit wolle sie verdeutlichen, dass sie als Kleinbetrieb, der mit kleinen regionalen Kreisläufen funktioniert, einen Fußabdruck hat, der absolut vertretbar sei. Dazu arbeite sie mit regionalen Bauern zusammen. „Es ist nicht immer schwarz und weiß, wie es oft dargestellt wird“, betont Koch. Die regionalen Partner kenne sie seit vielen Jahren, kann diese besuchen und sehen, wie die Tiere dort gehalten werden. Zudem die Transportwege kurz.
„Wir spüren unheimlichen Zuspruch. Viele Menschen sagen, wenn ich Fleisch kaufe, möchte ich es handwerklich oder regional haben.“ Koch nehme wahr, dass die Menschen sensibler sind. „Die Kunden sind auch bereit, vielleicht dann ein bisschen mehr zu zahlen, wenn sie wissen, dass es dem Tier gut ging und sie auch noch einen Arbeitsplatz vor Ort erhalten können.“ Um das zu kommunizieren ist Koch natürlich auch in den Sozialen Medien unterwegs und zeigt transparent die Entstehung der Produkte und auch die Haltung der Tiere. „Ein Unternehmen, das nicht in den sozialen Medien präsent ist, das existiert für viele nicht“, weiß Koch.
Mehr Wertschätzung für das Handwerk
Stolz ist die Chefin des kleinen Betriebs, dass sie in diesem Jahr zwei Auszubildene einstellen konnte. „Ich bin ganz glücklich“, sagt sie. Junge Menschen für das Handwerk zu begeistern sei mit viel Arbeit und Aufwand verbunden: „Man muss sehr viel mehr rausgehen: in die Schulen, zu Informationsveranstaltungen und die Leute direkt ansprechen oder eben auch über die Sozialen Medien.“ Die jungen Menschen müssen das Handwerk immer als einen potenziellen Beruf auf dem Schirm haben.
Jungen Menschen, die gerade ihren beruflichen Weg suchen und mit dem, was sie tun, nicht zufrieden sind, rät sie: „Traut euch, etwas anderes zu machen!“ Sie wünsche sich, dass junge Menschen wieder mehr bereit sind, Verantwortung zu übernehmen und vielleicht auch einen Betrieb zu übernehmen. Sie weiß: „Es gibt so viele Betriebe, die keinen Nachfolger haben. Das ist eine schwierige Situation.“ Sie verstehe gleichzeitig aber auch, dass die junge Generation in diesen unsicheren Zeiten auch etwas Angst davor haben.
Rückblickend stellt sie fest, dass sie mit der Zeit viel entspannter geworden ist. „Am Anfang war ich relativ krampfig. Man möchte alles perfekt machen und ärgert sich über Kleinigkeiten.“ Je mehr Zeit vergeht, um so gelassener ist sie geworden, sagt sie.
Tolle Produkte und keiner weiß es
Koch ist stellvertretendes Mitglied der evangelischen Landessynode. „Ich komme aus einem christlichen Haushalt“, erzählt sie. „Wir sind mit diesen Werten aufgewachsen und meine Eltern sind praktizierende Christen.“ Ähnlich wie beim Handwerk frage man sich auch bei der Kirche, warum immer weniger Menschen kommen. „Warum hat sie irgendwie Strahlkraft verloren“, fragt sie. Gerade die Zukunft der Kirche sei in der Synode ein großes Thema.
Wie das Handwerk biete auch die Kirche so viele Antworten auf die Fragen der Zeit. Beim Handwerk sind es die Themen Nachhaltigkeit und Regionalität. Gerade in diesen Zeiten von Krisen und Unsicherheiten könnten die Kirchen so viele Lücken füllen. „Sie könnten Halt bieten“, so Koch. „Es wundert mich, dass es so eine gegenteilige Bewegung gibt.“ Man müsse als Kirchen wieder zugänglicher werden. Vielleicht sei es auch – wie beim Handwerk – ein Kommunikationsproblem auf unterschiedlichen Ebenen: „Viele Metzger machen so tolle Produkte und keiner weiß es.“
KI und Ahle Wurst
Die Tradition des Betriebs zu bewahren ist der Nachfolgerin im Familienbetrieb wichtig. „Das kann man an unserem Produkt festmachen. Die Ahle Wurst haben wir nicht verändert. Es sind die alten Rezepte.“ Alles Gute nehmen sie mit. „Aber wir wollen die Produkte ja auch in die Zukunft führen und dem Zeitgeist anpassen.“ Aus dem traditionellen Dachboden zum Reifen der Ahlen Wurst kreierte sie den Markennamen „Wurstehimmel“ für die Landfleischerei Koch.
Neues wagen, zu experimentieren und innovativ zu sein, ist für die Unternehmerin wichtig. Zum einen immer wieder neue Produkte zu entwickeln. „Aber auch die veränderten Ess- und Einkaufgewohnheiten der Menschen spornen an, sich immer wieder zu entwickeln.“ Selbst die Betriebsabläufe werden immer wieder geprüft und gegebenenfalls verbessert. „Ich möchte, dass meine Mitarbeitenden gerne ihren Job machen und auch gerne kommen.“ Mit der Universität Kassel mache sie gerade ein Projekt, in dem eine künstliche Intelligenz als Arbeitserleichterung die Reifung in den Wurstekammern überwacht.
Regionale Strukturen sind wichtig
Katharina Koch sei so erzogen worden, dass sie schonend mit Ressourcen umgeht. Außerdem glaube sie, dass Nachhaltigkeit dem Handwerk schon immer sehr wichtig gewesen ist. Heute sei man sich dessen bewusster und spreche auch mehr darüber. „Ich finde es so schade, dass Fleisch generell in eine Ecke gestellt wird, dass es ein Produkt ist, dass schlecht für das Klima ist – egal aus welcher Produktion es kommt.“
Die Handwerksbetriebe tragen zu einem großen Teil zum Lebenserhalt der Bevölkerung bei. „Das Handwerk ist wichtig für die Gesellschaft. Das wird oft unterschätzt“, so die Fleischermeisterin. Sie wünsche sich mehr Wertschätzung. „Wir sind ganz zentral. Gerade in den letzten Jahren hat man gemerkt, wie schwer es ist Handwerker zu bekommen und was alles daran hängt, wenn gewisse Dinge nicht mehr funktionieren und nicht repariert werden können, weil keiner mehr da ist, der das leistet.“ Deswegen hat Katharina Koch auch bei einer bundesweiten Handwerkskampagne mitgemacht um junge Menschen für die Handwerksberufe zu begeistern. Das Handwerk sei unheimlich konkret. „Es ist sinnstiftend. Man sieht direkt was man geschaffen hat und bekommt direktes Feedback. Man weiß, was man getan hat“, schwärmt sie.
Wenn sie ihren Betrieb einer berühmten oder einflussreichen Person zeigen könnte, so wäre dies Ursula von der Leyen. „Ich glaube, in der EU muss man begreifen, wieso die regionalen Strukturen vor Ort wichtig sind. Wenn man an die Verordnungen denkt, die kleinen Handwerksbetrieben von dieser Ebene auferlegt werden, wäre es gut, wenn sie vor Ort sehen würde, wie dort gearbeitet wird und warum das gut und wichtig ist.“
Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Citypastoral, Kassel Marketing und der GALERIA. Kerstin Leitschuh redet mit interessanten Personen aus Gesellschaft, Kultur oder Politik über Werte und Welt, Hoffnungen und Haltungen, Glück und Gott.
Text: Kerstin Leitschuh
Fotos: Marcus Leitschuh