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Jede Begegnung ist zwangsläufig eine Begegnung mit Gott

Der Tanzdirektor des Staatstheaters Kassel, Dr. Thorsten Teubl, war Gast beim neunten Feierabendgespräch der Citypastoral in der Event Lounge beim Kassel Service Point in der GALERIA. Kerstin Leitschuh und der ebenfalls gebürtige Schwabe sprachen über Gott, Bach, Mozart und Helmut Schmidt.

Gott ist das absolute Geheimnis
Die Frage nach Gott beantwortet der ehemalige Theologiestudent mit Thomas von Aquin: „Er sagt, dass sich hinter der Chiffre G.O.T.T das absolute Geheimnis verberge.“ Kein Mensch wisse, was es ist. Teubl ergänzt: „Aber ich glaube, dass uns dieser Begriff Gott doch irgendwie lehrt, Respekt vor der Schöpfung, vor einem selber und vor anderen zu haben.“ Und schließlich: „Ich glaube es geht vor allem darum, dass man für das eigene Sein Stellung bezieht, Verantwortung übernimmt und versucht, über den Tellerrand zu blicken.“ Er berichtet, dass es in Leos Janaceks Oper ‚Aus einem Totenhaus‘ eine Überschrift des Komponisten gebe, die sage ‚In jeder Kreatur steckt ein Fünkchen Gottes.‘ Das sei der Toleranzedikt, die europäische Aufklärung. „Liebe deinen Nächsten wie dich selbst und ‚Die Liebe erträgt alles‘. Das ist gelebte Aufklärung“, so Teubl. „Ich sehe Gott nicht als Mann im weißen Bart, sondern als Kraftquelle, was eigentlich schon wieder viel zu wenig ist“, sagt er nachdenklich. „Wenn ich von der Ebenbildlichkeitstheorie ausgehe, dann ist jede Begegnung zwangsläufig eine Begegnung mit Gott.“

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Michel de Montaigne und Helmut Schmidt
Als Symbol für Werte, die Thorsten Teubl im Leben leiten, hat er zwei Dinge zum Feierabendgespräch mitgebracht. Das eine ist ein Buch, das einen Wasserrohrbruch in seiner Wohnung überlebt hat und das ein wichtiger Begleiter in seinem Leben ist: Michel de Montaignes Aufsätze. „Er ist ein großer Philosoph, der über das richtige Leben und das richtige Sterben schreibt.“ Das Buch ist für ihn ein Leitfaden im Leben. Eine These darin sei, dass man im Leben das Sterben erlernen müsse. Der andere Gegenstand ist eine CD: ‚Helmut Schmidt, Kanzler und Pianist‘. Er habe diese wunderbare CD früher als Kind als Schallplatte bekommen und fand es erstaunlich, dass ein Politiker Klavier spielen kann – und dann noch Bach und Mozart. Später habe er sich dann mit Helmut Schmidt beschäftigt. „Er ist eine große, charismatische, hoch moralische Figur, die ich häufig befrage: Wie würde Helmut Schmidt an dieser Stelle reagieren?“ Der Altkanzler ist für ihn ein Mann, der für ganz bestimmte Werte wie die alten bürgerlichen Tugenden, Moral, Verstand, Intellekt und Kultur stehe. „Und das sind Werte, die es zu verteidigen gilt in dieser unserer Zeit.“

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Kultur als Lebensmittel
„Nur um schön zu sein verwenden wir viel zu viel Steuergelder“, sagt Teubl überzeugt. „Wir müssen als Tanztheater schon eine Funktion haben. Wir haben einen Kulturauftrag und einen Bildungsauftrag.“ Der müsse wahrgenommen werden. Der Tanzdirektor verweist auf die Verantwortung, die sich durch die Verwendung von Steuergeldern ergebe. Eine Gesellschaft müsse sich Kultur leisten. Er ist davon überzeugt: „Kultur hilft uns Menschen, zu überleben.“ Sie sei ein Überlebensmittel und damit ein Lebensmittel. Immer wenn es den Menschen schlecht ging, sei Kultur hoch im Kurs gewesen. „Ich glaube, dass uns die Kultur auch hilft zu leben.“ Sie gebe vielleicht keine Antworten, aber sie gebe Ratschläge und einen Leitfaden, wie wir mit Liebe, Beziehungen, der Migrationsgesellschaft, mit Transformationsprozessen, mit Migrationsströmen umgehen können. Teubl: „Diese Welt steht vor unglaublichen Herausforderungen. Die Welt steht Kopf. Wir im Theater stehen auch Kopf. Aber wir müssen in der Kunst, in der Kultur, im Theater, im Tanz auch Antworten zu geben, uns positionieren und vor allem Haltung zeigen.“

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Die frohe Botschaft des Evangeliums
Die Frohe Botschaft findet man laut Teubl im Neuen Testament. „Da spricht man von Werten und auch von einem Friedensauftrag. Wir müssen versuchen, das in unser tägliches Leben zu integrieren.“ Und er führt aus: „Wenn wir Ebenbild Gottes sind, kann ich den anderen nicht einfach würgen, beschimpfen oder anderweitig böse sein.“ Wir müssten den Respekt und eine gewisse Distanz voreinander wahren, den anderen als das sehen, was er ist und ihn unterstützen. „Ich versuche, mich an jedem Tag an diese Dinge zu erinnern und auch so mit meinen Tänzern und mit meinen Kollegen umzugehen.“ Der Tanzdirektor liebt das Bild der Reise und des reisenden Menschen. Das ist für ihn auch eine Übersetzung des Christseins: Sich auf der Reise zu befinden, neugierig zu sein, Respekt zu haben, das Leben zu achten und zu schätzen. Er merkt an: „Uns selber gegenüber vergessen wir das ganz oft. Auch wir haben das Recht, geschätzt zu werden und uns selber zu achten, uns genügend Pflege und Ruhezeiten zukommen zu lassen.“ Das seien alles Aspekte, wie Gott im täglichen Leben wichtig ist.
Auf die Frage nach seinem Wunsch an die christlichen Kirchen hat er eine klare Meinung: „Da bin ich etwas wie J.F. Kennedy: Ich solle nicht dauernd danach fragen, was der Staat oder die Kirche für mich machen kann, sondern eher danach fragen, was ich für den Staat und für die Kirche machen kann.“ Er glaubt, es liege an uns, ob wir auch eine Kontrollfunktion ausüben, was für Forderungen wir stellen oder wie wir jemanden, der im Verantwortung ist, unterstützen, anstatt nur zu fordern.

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Auch heute brauchen wir Bach und Mozart
Teubl ist sich sicher: „Derzeit braucht die Gesellschaft Bach und Mozart: Bach gibt uns Struktur und Mozart zeigt uns, wie zerbrechlich wir als menschliche Wesen sind, wie zerbrechlich Beziehungen und Partnerschaften sind und wie wunderbar Glücksmomente sein können.“ Mozart zeige ganz oft Kompositionen, wo der Mensch in einer dunklen Box stehe. Und plötzlich gebe es eine harmonische Veränderung in der Struktur der Musik, ein Deckel gehe auf und einen Lichtstrahl komme. „Das ist so wunderbar bei Mozart zu erleben. Und ich glaube, das fehlt ganz oft in unserem Leben.“

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Thorsten Teubl der Mensch
Wenn er Cello spielen darf sei er glücklich. Er habe es erst vor einigen Jahren angefangen zu spielen, weil es immer ein Traum gewesen sei. „Das ist ganz wunderbar, dieses vibrierende Gerät zu beherrschen lernen. Das ist ein Glücksmoment für mich.“
Den Kopf frei bekommt er eigentlich nie. „Das kalte Wasser nach einem Saunagang ist der einzige Moment, der tatsächlich mein Hirn mal ausschalten kann“, scherzt er. Er macht gerne Musik und liest viel. „Ich habe mein altes Hobby wieder neu entdeckt. Nach gut 30 Jahren habe ich während meiner Covid-Erkrankung meine Querflöte ausgepackt um die Lunge zu stabilisieren. Seitdem spiele ich wieder und erlebe auch hier wahre Glücksmomente.“
Thorsten Teubl erzählt von einem guten Freund, der mit einer schweren Lungenerkrankung im Krankenhaus liegt, an das Sauerstoffgerät angeschlossen ist und sich kaum mehr bewegen kann. „Wenn ich dann in diesen ganzen Wirrwarr jeden Tag das Bild von diesem Menschen vor Augen habe, dann relativiert sich Vieles.“

Thorsten Teubl der Tanzdirektor
Als Tanzdirektor arbeite er in Kassel mit dem ganz neuen kuratierten Modell. „Das heißt, es gibt keinen Chefchoreographen mehr bei uns im Haus, sondern ich arbeite als Manager, als Kurator und organisiere in der Spielzeit bis zu acht Uraufführungen.“ Er möchte die ganze Vielfalt des zeitgenössischen Tanzes zeigen und den Tanz auf höchstem Niveau mit den unterschiedlichsten Handschriften präsentieren. „Im Vergleich zur alten Compagnie spielen wir ungefähr das Vierfache an Vorstellungen und machen das Dreifache an Produktionen“, erzählt Teubl. Die Compagnie bestehe aus 20 Tänzerinnen und Tänzern, davon seien 13 fest engagiert. Damit bediene er alle drei Spielstätten: das große Opernhaus mit 1000 Sitzplätzen, das Schauspielhaus mit 550 Plätzen und das Theater im Fridericianum als Raum für das Experiment. „Tanz darf und muss auch Spaß machen aber zugleich auch zum Nachdenken anregen und muss vor allem verändern.“ Derzeit laufe ein Tanzabend für ein junges Publikum mit jungen Tänzerinnen vier ältere Menschen, die tänzerische Laien sind. Teubl ist begeistert: „ Man sieht an diesem Abend aber eine Einheit. Dieser Abend gibt so unglaublich gute Impulse zum Nachdenken über Altwerden, Älterwerden, Liebe, Zärtlichkeit, Poesie. Ich bin sehr berührt von diesem Abend.“

Von der Theologie zum Tanz
Thorsten Teubl bekennt: „Ich habe tatsächlich zunächst in Bayreuth protestantische Theologie studiert.“ Weil es ihm zu pietistisch war, wechselte er nach Hamburg an die Musikhochschule. Um sein Studium zu finanzieren hat er an der Hamburgischen Staatsoper mit Choreograph John Neumeier als Beleuchtungsrepetitor gearbeitet. „Ich durfte so wunderbare Aufführungen wie die Matthäuspassion oder die Kameliendame miterleben“, schwärmt der heutige Tanzdirektor. „John hat eine unglaubliche Begeisterungsfähigkeit. Und so kam der Tanz in mein Leben.“

Die Feierabendgespräche sind eine Kooperation von Kassel Marketing, der Galeria und der Citypastoral. Pepe Lang bereicherte das Feierabendgespräch mit seiner Gitarre.


Text: Kerstin Leitschuh
Fotos: Lars Reichert