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Wohin gehen die Toten? Jenseitsvorstellungen als Trost in Diesseitszumutungen.

„Ja, es besteht die Gefahr, dass wir die Toten immer weiter ins Abseits drängen und unsere eigene Endlichkeit nicht mehr anschauen“, gibt Dr. Dirk Pörschmann, Leiter des Museums für Sepulkralkultur, zu bedenken. Unsere Friedhöfe waren früher neben der Kirche und die Kirche war im Zentrum des Dorfes. Bei jeder Beisetzung wurden die Toten dort hingetragen, alle Menschen im Dorf haben es wahrgenommen und daran teilgenommen. In den Städten wurden die Friedhöfe rund um die Kirche zu klein, sie wurden an den Rand verlegt. Dort musste man die Toten mit einem Fuhrwerk hinbringen. Inzwischen seien diese Vororte zwar Teil der Zivilisation, allerdings werden jetzt die Bestattungswälder genutzt. Diese sind weit weg oft schwer erreichbar. Dies gelte gerade für ältere Menschen, die z.B. mit dem Rollator unterwegs seien. „Wir drängen die Toten an den Rand der Gesellschaft, an den Rand unserer Wahrnehmung“, sagt Pörschmann. Weil wir oft nicht mehr da leben, wo wir geboren wurden, wird das ortsgebundene Gedenken immer schwieriger.

Dr. Dirk Pörschmann sprach im Rahmen des Begleitprogramms der Installation „Poem of Pearls“ im Paradiesgarten in der Elisabethkirche mit Kerstin Leitschuh, Referentin für Citypastoral in Kassel, über Jenseitsvorstellungen, Trost und Endlichkeitsbewusstsein:

Wohin gehen wir, wenn wir gestorben sind?

Zu allen Zeiten haben sich Menschen in allen Kulturen um ihre Toten gekümmert und sich aber auch immer die Frage gestellt, wo die Toten dann sind. „Das ist etwas, was unser Menschsein ausmacht“, stellt Dr. Dirk Pörschmann fest. Wenn Menschen sterben, sind sie da und doch nicht mehr da. Es tritt eine Stille ein: Der Körper liegt da, die Toten sprechen aber nicht mehr. Das lasse sich intellektuell nur schwer fassen. Rituale, bei denen sich die Hinterbliebenen um die Toten kümmern, helfen dabei, die Endgültigkeit zu verstehen.

In allen Kulturen und Religionen fragte man sich, wohin die Toten gehen. In anarchischen Kulturen gab es die Vorstellung, dass die Toten schon noch in der Welt seien, aber an einem anderen Ort. Von dort haben sie auch noch Einfluss auf die Lebenden. Das führte zu aufwändigen und kostspieligen Bestattungsritualen. Sie hatte die Aufgabe, die Toten auch weiterhin wohlgesonnen zu stimmen.

Die Jenseitsvorstellungen sind vielfältig: Die einen sehen einen Ort, den es jetzt hier in unserem Kosmos in diesem Moment gebe. Die Toten haben einen Ortswechsel vollzogen. Man solle somit auch nicht schlecht über Tote reden, die könnten uns beim Wiedertreffen ordentlich die Meinung sagen. Andere Vorstellungen gehen von einer Seelenwanderung aus. Wir gehen wieder in das natürliche System ein. Dies habe auch Auswirkungen auf die Bestattungsformen und die Entwicklung der Bestattungswälder.

Was ist Trost?

Menschen seien trostbedürftige Wesen, sagt Dr. Dirk Pörschmann. Es gebe immer wieder Phasen, in denen wir Trost brauchen. Wobei Trost nicht Hilfe sei. Wenn nichts mehr unternommen werden könne, um jemandem zu helfen und ihn von seinem Leiden zu erlösen, dann setze der Trost ein. Trost sei, wenn Hilfe nicht mehr hilft. Wir seien trostsuchend weil wir grundsätzlich endlich sind. Der Philosoph und Soziologe Georg Simmel beschreibt Trost wie folgt: „Trost ist etwas anderes als Hilfe. Die Hilfe sucht auch das Tier. Aber der Trost ist das merkwürdige Erlebnis, das zwar das Leiden bestehen lässt, aber sozusagen das Leiden am Leiden aufhebt. Der Trost betrifft nicht das Übel selbst, sondern dessen Reflex in der tiefsten Instanz unserer Seele.“

Die Toten bleiben, wenn wir mit ihnen kommunizieren

„Wir bleiben mit den Toten im Gespräch, weil die Beziehung mit dem Tod nicht endet“, weiß Pörschmann. Im Trauerprozess behalte man weiterhin eine Beziehung mit dem verstorbenen Menschen. Die Liebe wandle sich, wenn der Mensch nicht mehr da ist, sie werde transformiert. In Kontakt bleiben sei essentiell: Manche kommunizieren in Gedanken, manche schreiben Verstorbenen weiterhin WhatsApp-Nachrichten und drucken diese aus. Die Formen und Techniken seien in den Jahrhunderten immer unterschiedlich. Es gehe aber immer darum, im Gespräch zu bleiben. Das sei Teil der Trauerarbeit.

Wir sind trostbedürftig

Pörschmann führt aus, dass Jenseitsvorstellungen tröstlich sein können: Das physische Leben hat ein Ende, aber die Vorstellung eines Weiterlebens könne tröstlich sein. „Aber man muss aufpassen, dass man nicht in den Bereich der Vertröstung kommt“, gibt Pörschmann zu bedenken. Dies sei negativ konnotiert. Damit vertröste man auf ein Jenseits, weil das Diesseits so unzumutbar und schlecht sei.

Pörschmann ergänzt: Das Leiden sei nicht zu verhindern aber für den kurzen Moment des Trostes seien wir in der Lage, jemanden aus dem Leiden an seinem Leiden rauszuholen. Im Getröstetwerden, seien wir in der totalen Abhängigkeit und können uns selbst nicht helfen. Jemand anderes könne uns auch nicht helfen. Es ist etwas passiert, was nicht mehr geändert werden kann. In einer von Aktivismus geprägten Zeit sei es schwierig, diese Abhängigkeit anzuerkennen. Pörschmann beeindruckt der Satz des Dalai Lamas: „Nichts in dieser Welt existiert unabhängig.“ Das heiße alles, auch wir, seien abhängig und nicht autonom. Weil wir uns grundsätzlich Autonomie wünschen, sei es für uns schwer zu akzeptieren, dass wir manchmal Trost bedürfen.

Pörschmann legt Wert darauf, dass Tröstende wissen, was Leid ist. Vielleicht können Christen und Buddhisten von Jesus Christus und Siddhartha in der Meditation Trost empfangen, weil diese selber Leid erfahren haben.

Das kann tröstlich sein

„Jeder Mensch empfindet Trost anders“, so Pörschmann. Aber man könne durchaus Kategorien bilden: Natur könne tröstlich sein: Heimat, Naturerfahrung, Landschaft. Tiere können durch ihre Anwesenheit trösten. Dinge können trösten: Erinnerungsgegenstände an Verstorbene. Menschen können trösten – besonders dann, wenn alles andere nicht mehr hilft, ist die Seelsorge entscheidend. Da gehe es nicht mehr so viel darum, was der Tröstende sagt. Argumente können nicht trösten. Blicke, Anwesenheit und Offenheit können trösten. Das, was andere Menschen in ähnlichen Situationen geschaffen haben, könne trösten: Musik oder Kunstwerke.
Die Aufgabe der Religionen sei die Arbeit am Menschen, die Seelsorge, sagt Pörschmann. Deswegen könnten die Vertreter der Religionen gerade bei den Verlusterfahrungen stärker direkter ansprechbar werden und Menschen beim Abschiednehmen begleiten.

Vergessen wir das Jenseits?

„Durch Säkularisierung ist nicht mehr klar, was man im Todesfall eines Angehörigen tut“, erklärt Pörschmann. Als noch mehr Menschen einer Religionsgemeinschaft angehört haben, seien die Abläufe völlig klar gewesen: Angehörige und Nachbarn kamen, die verstorbene Person wurde gewaschen angezogen, aufgebahrt und man hat Totenwache gehalten. Gemeinsam wurde die Leiche zum Grab getragen. Das waren starke Rituale, die von Seelsorgern begleitet wurden. „Jetzt sind wir säkular, manche sagen frei. Diese Freiheit will dann aber auch gestaltet werden“, gibt Pörschmann zu bedenken. Ich müsse selbst als Individuum wissen, was für mich gut ist. Man könne nicht mehr auf eine jahrhundertealte Tradition zurückzugreifen, die weiß, was gut für Menschen ist, weil sie sich über eine lange Zeit hinweg entwickelt hat. Ich müsse selber ein Ritual entwickeln. „Wenn ich mir vorher gar keine Gedanken darüber gemacht habe, wo der Mensch hingeht, ist das natürlich in der existentiellen Erfahrung des Verlustes unmöglich“, so Pörschmann. „Die vermeintliche Freiheit, die wir über die Säkularisierung gewonnen haben, fordert auch Gestaltung und Auseinandersetzung.“ Das sei mit Hinblick auf alle unsere Lebensbereiche auch ganz schön anstrengend. Dass wir sterblich sind, schiebe man dann gerne erstmal weg und bespreche es nicht mit seinen Angehörigen. Pörschmann nachdenklich. „Unser Jahrhundert ist vielleicht das Jahrhundert der Abkehr von der Sepulkralkultur.“ Das zeige sich auch darin, dass viele Leichen verbrannt werden. Ist das die reine Ökonomisierung? Hängt es damit zusammen, dass viele sagen, die Toten gehen nirgendwo hin und man könne auch auf den Kompost geworfen werden? Pörschmann: „Ein Bestattungsritual will jemanden in eine andere Welt führen. Wenn man das nicht mehr glaubt, ist man eher in einem Bereich der Entsorgung.“ Aber es gebe auch viele junge Menschen, die sich sehr genau mit dem Tod auseinandersetzen. Menschen, die bewusst in der Sterbebegleitung ehrenamtlich aktiv sind – auch um zu erfahren, was Sterben bedeutet, um sich auch auf den eigenen Tod vorzubereiten. „Ich würde nicht sagen, dass er Tod ein Tabuthema ist - aber die Sterbenden und die Leichen sind tabuisiert.“

„Da ich nicht weiß, wann ich sterbe, gibt es auch keinen besseren Zeitpunkt, als jetzt damit anzufangen, sich meiner Endlichkeit vergegenwärtigen.“ Das Bewusstsein der eigenen Endlichkeit mache positiv etwas mit dem Leben im Diesseits, davon ist Pörschmann überzeugt. Es erzeuge eine Sinnhaftigkeit im Tun. „Es gibt nur diesen Moment. Die Vergangenheit ist eine Konstruktion, die Zukunft ist auch eine Konstruktion. Die Realität ist immer nur im Jetzt. Und dieses Jetzt ist begrenzt.“

https://www.sepulkralmuseum.de/

Text: K. Leitschuh
Fotos: M. Leitschuh