Er war 2010 der erste in der Stadt Kassel: Bienenvölker im nordhessischen Stadtgebiet ansiedeln. Heute hat er 100 Bienenkästen in der ganzen Innenstadt verteilt und begleitet damit rund 5 Millionen Bienen durch die Saison: Stadtimker Victor Hernández war Gast beim 25. Feierabendgespräch mit Kerstin Leitschuh von der Citypastoral Kassel.
Ein Kasten besteht aus 50.000 Bienen und einer Königin. Die Insekten organisieren sich untereinander wie ein eingespieltes Team selber. Sie leben Arbeitsteilung und haben eine Schwarmintelligenz. „Sobald eine Biene geschlüpft ist, weiß sie, wo ihre Position ist und was sie zu tun hat“, sagt Hernández. „Das Treiben rum um den Bienenstock kann einen wunderbar ablenken von allen Sorgen und Gedanken, die man sonst so am Schreibtisch vielleicht hätte.“ Nicht selten setze er sich vor einen Kasten und schaue seinen Bienen einfach nur zu. „Dann sehe ich nicht nur fleißige, sondern auch ruhige und chillige Bienen, die sich vielleicht von einem Ausflug ausruhen. Auch das hat seine Berechtigung.“
„Ich habe viel über das Leben von den Bienen gelernt“, gibt der Imker zu. „Wenn ich beispielsweise mit einer gewissen Ruhe und vielleicht auch mit Sanftmut an so ein Volk herantrete, dann werde ich weniger gestochen. Ein bisschen Sanftmut, etwas den Gang rausnehmen, das hilft uns ja auch sonst im Alltag“, erzählt der Imker. Ferner fasziniert ihn das Zusammenspiel des Bienenvolkes. „Das Miteinander steht im Vordergrund, es geht weniger um einen selbst, sondern um das große Ganze, um eine Gesellschaft und den Fortbestand eines Bienenvolkes. Vielleicht können wir da auch von Altruismus sprechen.“
Der ehemalige katholische Messdiener ist angetrieben von dem Glauben, dass es wichtig ist, das Richtige zu tun: anderen Menschen nicht zu schaden, gerecht zu handeln, Verantwortung für sich, seine Mitmenschen und die Umwelt zu übernehmen. Das wünsche er sich auch von den Kirchen, dass sie Verantwortung übernehmen und nichts leugnen. Die Frage nach Gott stelle er sich heute nicht mehr.
Wenn neues Leben entsteht
Der ehemalige Journalist geht ohne Schleier, ohne Handschuhe, ohne Schutz und in Jeans und T-Shirt zu den Bienen. „So bin ich sensibler für diese kleinen Geschöpfe.“ Wenn er eine Wabe aus einer Kiste herausnehme, spüre er mit bloßen Fingern, ob an der Rückseite noch eine Biene herumläuft. Mit einem Handschuh würde er sie aus Versehen einfach quetschen.
Große Freude bereite es dem Imker, wenn er dabei ist, wenn eine Biene schlüpft. „Das muss noch nicht mal eine Königin sein, bei der man sich natürlich alle Zeit der Welt nimmt und genau zuschaut,“ schwärmt er. „Es gibt für jedes Volk nur eine Königin. Wenn eine neue Königin schlüpft, muss sie sich ganz allein aus ihrer Zelle herausarbeiten. Da entsteht neues Leben. Das ist schon eine schöne Sache!“ Die anderen Bienen gehen während des Schlüpfens ihre Aufgaben nach. „Es gibt keine Geburtshelferbienen. Es gibt die Ammenbienen, die Putzbienen, die Wächterbienen, die Sammlerinnen. Aber eine Biene, die nicht selbstständig aus ihrer Zelle schlüpft, ist schon verloren. Diesen Moment zufällig dann am Bienenvolk miterleben zu können, ist sehr schön.“
Als Chef der Bienen sehe sich Victor Hernández nicht. Er sei eher ein Begleiter durch die Saison. „Das Produkt machen die Bienen. Der Imker ist der, der erntet“, sagt er mit einer gewissen Demut. „Früher hat man gesagt, der räubert. Ich kann im besten Fall sieben, abfüllen, etikettieren. Das ist nicht so viel Anteil am Produkt Honig.“ Aber, so betont er, es sei eine ganze Menge Liebe in seinem Honig. „Ich vergeude nichts und lasse nichts vergammeln. Das ist mir wichtig.“ Selbst der letzte Tropfen Honig, der nach dem Umfüllen in einem Eimer ist, wird nicht vom Spülschwamm weggewischt, sondern lande im Mund.
Der Weg in die Imkerei
Zur Imkerei sei der über Umwege gekommen, erzählt er. Er suchte einen Ausgleich zur Tätigkeit am Schreibtisch – und das idealerweise an der frischen Luft. Seinen ersten Honig aus der Stadt hat Hernández, der früher im Journalismus tätig war, analysieren lassen. Daraufhin wurde er vom Landesverband Hessischer Imker mit Gold ausgezeichnet. „Das war eine unheimliche Motivation, mit dem Imkern weiterzumachen“, erzählt der Stadtimker.
Bienen in der Justizvollzugsanstalt und bei der Diakonie
Ein Bienenvolk befindet sich in der Justizvollzugsanstalt. Die Insassen müssen sich bewerben, wenn sie am Bienenprojekt teilnehmen möchten. „Dann arbeiten sie ein Jahr lang mit mir und den Bienen zusammen“, so Hernández. „Am Ende des Jahres steht die Honigernte, ein Produkt, auf das man wirklich stolz sein kann.“ In diesem Jahr der Begegnung zwischen den teilweise sehr kräftigen Jungs mit der großen Klappe, der kleinen Biene mit dem Stachel und dem Imker, der ohne Schutz mit den Bienen arbeitet, laufen ganz viele Lernprozesse ab. Dazu wird keine Schultafel benötigt. „Wir reden ganz normal miteinander. Mich interessiert nicht, warum und wie lange jemand dort ist. Wir sind auf Augenhöhe unterwegs. Ich verschaffe den Insassen in dieser Stunde, in der ich da bin, einen guten Moment. Darum geht es!“
Ein weiteres Bienenvolk stand bei der Baunataler Diakonie in Waldau. Dort leben Menschen mit Behinderungen. Der Imker erzählt: „Man konnte beobachten, wie Menschen, die sich sonst nicht so viel mitteilen, plötzlich bei einem Bienenvolk aufblühen. Sie haben die Umgebung wahrgenommen und sich mitgeteilt, wie schön sie das finden. Wenn ich da der Vermittler sein kann, dann ist das wunderbar.“
Imkerei und Innovation
Trotz aller Tradition müsse die Imkerei innovativ sein. „Wenn wir das immer so machen, wie das immer schon gemacht wurde, dann landen wir in der Sackgasse“, davon ist Victor Hernández überzeugt. „Jedem und jeder Branche tut es gut, nach links und rechts, nach vorne und hinten zu schauen und zu suchen, was kann ich dieses Jahr besser machen als vielleicht letztes Jahr?“ Damit meine er nicht in erster Linie eine Steigerung der Ernte, sondern: „Was gibt es Neues in der Forschung, wie ich meinen Bienen Gutes tun kann? Oder was sind neue Erkenntnisse in der Vermittlung dieser Naturpädagogik? Wie kann ich zum Beispiel mit Schulklassen noch besser arbeiten, damit die dieses kleine Wunder da im Volk auch verstehen?“
Und wie schaltet der Imker mal ab, der ja eigentlich Imkern wegen des Abschaltenwollens begann? „Mir gelingt das am besten am Herd. Ich koche gerne für meine Familie und für Freunde.“ Das Abschalten beginne schon beim Einkaufen, sagt der Genussmensch. „Das sind Momente, wo ich gut entspannen kann und wo ich dann auch ganz bei mir bin.“
Die Veranstaltung ist eine Kooperation der Citypastoral, Kassel Marketing und der GALERIA. Kerstin Leitschuh redet mit interessanten Personen aus Gesellschaft, Kultur oder Politik über Werte und Welt, Hoffnungen und Haltungen, Glück und Gott.
Text: Kerstin Leitschuh
Fotos: Marcus Leitschuh