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Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel mit Dr. Gero Moog
Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel mit Dr. Gero Moog

Gott, die Welt und Dr. Gero Moog

Dr. Gero Moog war Gast beim zehnten Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel, das in der Event Lounge am Kassel Service Point in der GALERIA stattfand. Dabei spricht Kerstin Leitschuh mit spannenden Personen aus Kassel über Gott und die Welt. Moog ist Facharzt für Gastroenterologie, CED und Hepatologie, hat eine eigene Praxis und ist Mitbegründer der „Fahrenden Ärzte“, die seit 1996 ehrenamtlich Menschen am Rande der Gesellschaft medizinisch und sozial betreuen.

Eine Kolumbianerin gab die Initialzündung für die Initiative „Fahrenden Ärzte“ in Kassel. Sie hatte in Deutschland Medizin studiert und sich danach in Berlin für Obdachlose engagiert. Moog erinnert sich: „Sie hat mich und einen Kollegen inspiriert, etwas Ähnliches in Kassel zu machen. Wir wollten uns über die Alltagsarbeit hinaus engagieren.“ Er nahm Kontakt mit dem Gesundheitsamt der Stadt Kassel auf. Dieses bat sie, sich neben den Obdachlosen auch um Drogenabhängige und drogenabhängige Prostituierte zu kümmern. Das war bereits 1996.

„Am Anfang gab es schon auch Widerstände“, erzählt der Arzt. „Viele Menschen haben unsere Tätigkeit sehr misstrauisch beäugt: Es gebe ja schon das Sozialamt, die Heilsarmee und andere Institutionen.“ Sie mussten zu Beginn dicke Bretter bohren und wurden nicht überall mit offenen Armen empfangen. Er schmunzelt: „Ich bin aber einer, der Angefangenes nicht freiwillig einfach wieder aufhört. Es macht mir Spaß und unsere Arbeit ist auch dringend notwendig.“

Hoffnung geben aber keine falsche Hoffnung machen

Gott sei für Moog der Inbegriff dessen, dass es etwas gibt, das über unsere eigene Begrenzung hinausgeht: „Das ist das, was wir Menschen mit unserer Rationalität nicht erfassen können. Etwas, wo wir mit unserer Vernunft, mit unserem wissenschaftlichen Erkennen tatsächlich nicht hinkommen.“ Dieses Verständnis von Gott spiele auch in seinem Alltag eine Rolle. „Ich muss Menschen erklären, dass sie bald sterben werden. Das sind immer wieder sehr schwierige Gespräche. Da möchte ich auf der einen Seite Hoffnung geben aber auch keine falsche Hoffnung machen. Man muss in sich ruhen, dass man den Menschen Hoffnung gibt, aber nicht oberflächlich wird. Eine gewisse Art von Glauben an etwas, was über den menschlichen Verstand hinaus geht, spielt bei mir schon eine Rolle.“

„Liebe sei Tat“ (Heiliger Vinzenz von Paul)

Dr. Moog ist auch im Marienkrankenhaus und im Elisabeth-Krankenhaus in Kassel tätig. „Beide stehen in der Tradition von Schwestern vom Heiligen Vinzenz von Paul“, erklärt Moog. „Er hat gesagt ‚Liebe sei Tat‘. Das ist auch mein Motto.“ Wenn man etwas tue, dass sei das wichtig. „Tun bewirkt mehr als reden.“ Für ihn heißt das auch: „Ich versuche, authentisch und liebevoll zu sein. Ich möchte den Menschen dort abzuholen, wo er gerade ist, auch wenn die Person sehr schwierig ist.“ Dafür müsse er sich selbst zurückzunehmen, das Problem identifizieren und dann versuchen, darauf einzugehen.

Der Arzt wünscht sich von der Kirche, dass sie wieder mehr zu den Ursprüngen zurückkehrt. „Ich glaube, die Kirche hat sich in vielen Bereichen weit davon entfernt, was ich ihre originäre Aufgabe wäre.“

Persönliche Betroffenheit hilft nicht weiter

Traurige und schlimme Situationen gehören zum Alltag des Mediziners. „Da muss man sich abgrenzen“, sagt er. „Ich trage das nicht so sehr mit mir herum.“ Er erinnert daran, dass eine schwere Krankheit jeden Menschen treffen könne. Und jeder Mensch auch in eine sozial schwierige Situation kommen kann. Die größten Risiken für Armut seien Scheidung oder Krankheit. „Jeder kann davon getroffen werden. Man muss bescheiden sein und sich immer wieder klarmachen: Wenn alles gut geht, hat man Glück gehabt. Wenn es schwierig wird, braucht man eben Unterstützung.“


Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel mit Dr. Gero Moog
Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel mit Dr. Gero Moog

Heute geben die Fahrenden Ärzte u.a. auch mit der Kasseler Tafel warme Mahlzeiten aus und bieten eine Humanitäre Ambulanz für Menschen, die in Deutschland nicht krankenversichert sind, an. Moog erklärt: „ Das ist eine allgemein internistische oder hausärztliche Sprechstunde. Ein Kinderarzt und auch ein Psychiater sind dort. Aber auch mehrere Gynäkolog*innen.“ Dort bekommen Menschen Medikamente für ihre Herzerkrankungen oder Diabetes. „Wir nehmen auch Blut ab oder machen Schwangerschaftsbetreuung.“ An einem Abend mit dreistündiger Öffnungszeit kommen 20 bis 30 Klienten in die humanitäre Ambulanz. Außerdem ist das Team mit einem Auto aktiv: die Fahrende Ambulanz. Damit bieten sie einmal in der Woche für Drogenabhängige und Beschaffungsprostituierte eine Basisversorgung an: Sie geben Spritzen, Medikamente und Kondome aus. 20 bis 30 Ärzt*innen, Sozialarbeiter*innen und Krankenschwestern gehörten zum Team. „Wir werden über Spenden finanziert und decken so das Jahresbudget von 10.000 bis 15.000 Euro“, erzählt der Mitbegründer der fahrenden Ärzte. Die Stadt Kassel finanziert die Medikamente, die im Rahmen der Humanitären Sprechstunde abgegeben werden. Moog ist froh, dass sie es immer wieder mit anderen Institutionen schaffen, Menschen aus der Beschaffungsprostitution in eine stabile soziale Situation zu bringen, in der sie diese Tätigkeit nicht mehr ausüben mussten.

Dr. Gero Moog beim Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel
Dr. Gero Moog beim Feierabendgespräch der Citypastoral Kassel

Mit Dankbarkeit durchs Leben

Dankbarkeit ist für den engagierten Arzt ein ganz wichtiges Gefühl. „Man muss einfach dankbar sein, dass man gesund ist. Dankbar, dass wir unter relativ guten wirtschaftlichen Bedingungen in einem sicheren Land leben.“ Am Beispiel der Ukraine sehen wir, wie schnell sich Dinge wieder ändern können. Das sei vielen Menschen nicht klar. „Wir leben in Deutschland nach wie vor in einer Überflussgesellschaft. Wir beschäftigen uns mit zu vielen Nebensächlichkeiten. Wir müssen uns um die eigene Gesundheit und das Befinden der nächsten Angehörigen wie auch der Mitmenschen kümmern.“ Das Thema Umwelt werde natürlich auch immer wichtiger. „Man kann überall versuchen, für sich andere Maßstäbe zu setzen und sagen: Ich brauche jenes nicht unbedingt, ich brauche nicht unbedingt das Größte.“ Bei allem Kummer über die derzeitige Situation mit Inflation und steigenden Kosten, ist Moog auch froh darüber, dass in Deutschland eine Diskussion über Begrenzungen zustande kommt. „Unser Leben ist immer begrenzt. Wir sollten aufhören, so grenzenlos an Dinge zu glauben, die meiner Ansicht nach in Zukunft nicht mehr so umsetzbar sein werden.“

Der Patient sehe sich in der Notlage erst mal im Zentrum. „Jeder Patient braucht erst mal Hilfe. Es geht nicht darum, dass man als Arzt seine eigene Befindlichkeit in den Vordergrund stellt“, betont Moog. Die persönliche Betroffenheit helfe einem nicht weiter. „Man muss hoffen, dass man gesund bleibt. Das merke ich natürlich jeden Tag: Es gibt nichts Wichtigeres als Gesundheit.“ Alles andere sei marginal und spiele eine sekundäre Rolle. Das mache er sich immer wieder klar. „Man belastet sich täglich mit vielen sehr unwichtigen Dingen und vergisst, wie wichtig Gesundheit ist.“ Die Fragen, ob ich dieses oder jenes habe oder nicht habe, ob ich mich über den einen oder anderen ärgere, seien unwichtig. „Ich finde, man sollte immer wieder reflektieren und sich fragen: Ist das wirklich wichtig für mich? Wirklich entscheidend ist, ob ich gesund bin. Dann kann ich tatsächlich mit meiner eigenen Kraft Gutes bewirken und alles andere ist sekundär.“

Theologie wäre auch eine Alternative gewesen

Die Medizin prägt seine Familie. Sein Vater war ebenfalls Arzt. „Schon als Kind habe ich mich dafür interessiert“, erinnert sich Dr. Moog. Allerdings dachte er auch über berufliche Alternativen nach: Unter anderem waren Theologie und Theaterwissenschaften Optionen. „Ich habe auch ganz kurz Germanistik und Philosophie studiert“, erzählt er. Aber dann bekam er einen Platz im Medizinstudium. Diesen Schritt habe er nie bereut. „Ich mache ganz gerne auch etwas Praktisches mit den Händen“, erklärt der Arzt. „Deswegen habe ich mein Fachgebiet, die Gastroenterologie, gewählt. Da kann ich handwerklich tätig sein.“ Die Mischung aus Reden und Tun hat ihn angezogen. Die Rückmeldungen der Patienten motivieren ihn täglich.

Wir müssen uns alle in der Gesellschaft engagieren

Mit Blick in die Zukunft hat Dr. Moog einen Wunsch: „Dass die Gesellschaft erkennt, dass es Begrenzungen gibt.“ Diese nehmen auch aufgrund der immer älter werdenden Gesellschaft zu und führen zu vielen ungeklärten Themen. „Wir müssen fragen: Was können wir uns leisten, was ist machbar, wer will was leisten? Diese offene Diskussion in der Gesellschaft mit der Politik wünsche ich mir.“ An diesem Diskurs sollen sich nach Vorstellung des Arztes möglichst viele Menschen aus der Gesellschaft beteiligen. „Ich hoffe auf einen offenen und ehrlichen Diskus. Demokratie funktioniert nur, wenn die Menschen mitmachen. Wir müssen uns einfach alle engagieren.“

Die Feierabendgespräche sind eine Kooperation der Citypastoral Kassel, Kassel Marketing und der GALERIA.

Text: K. Leitschuh
Fotos: M. Leitschuh