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Von Cybermobbing zur Selbstliebe: Ein Interview mit Sinnfluencerin Lijana Kaggwa

Ein Gespräch über Hass im Netz, den Weg zu Gott und die Kraft der Liebe

Beim 32. Feierabendgespräch der Citypastoral über „Gott, die Welt und das Leben“ sprach Kerstin Leitschuh mit Lijana Kaggwa. Sie ist vielen als ehemalige Teilnehmerin von "Germany's Next Topmodel" bekannt. Heute bezeichnet sie sich selbst als „Mindset Influencerin" und setzt sich gegen Cybermobbing ein. Im Gespräch erzählte sie von ihrem Weg von Verzweiflung zu neuer Stärke und wie ihr Glaube ihr dabei half.

Der Weg zurück ins Licht

In dieser dunklen Zeit sah Lijana "kein Licht mehr am Ende des Tunnels". Der erste Corona-Lockdown wirkte dabei wie ein „Brandbeschleuniger". Menschen hatten kaum direkten Zugang zu Freunden und Familie und waren permanent online.

„Was mir Licht gebracht hat, war tatsächlich der Rückhalt durch meine Familie", betont sie. "Ohne sie würde ich heute ganz sicher hier nicht mehr sitzen." Ihre Familie erkannte, dass es ihr viel schlechter ging, als sie selbst zugeben konnte, und suchte professionelle Hilfe für sie.

Ein entscheidender Moment war ein Gespräch mit Peter Sommerhalter vom Bündnis gegen Cybermobbing, der ihr sagte: "Lijana, du musst dich nicht von jedem Pfeil treffen lassen, der auf dich zielt." Anfangs konnte sie mit diesem Rat wenig anfangen: "Wenn da steht, man wünscht meiner Mutter, dass sie am Straßengraben verreckt, dann ist das kein Pfeil, der auf mich zielt, sondern einer, der schon abgeschossen ist und getroffen hat – hier in meinem Herzen."

Doch mit der Zeit verstand sie die tiefere Bedeutung: "Ich habe nicht die Macht zu entscheiden, was Menschen über mich denken oder sagen werden. Aber eine Macht habe ich: entscheiden zu können, ob ich das an mich ranlasse, ob ich die Macht darüber, wer ich bin und wie viel wert ich bin, anderen Menschen gebe – oder ob ich mir die Macht selber zurückhole."

Diese Entscheidung war für sie der logische nächste Schritt auf einem Weg, den sie bereits beschritten hatte: „Die letzten Jahre habe ich wirklich sehr, sehr viel mit Gott gearbeitet. Ich bete täglich, war viel in der Kirche, habe die Bibel angefangen zu lesen und mich viel mit Jesus beschäftigt."

Auf die Frage, was Gott für sie bedeute, antwortet sie: „Gott ist für mich Liebe. Überall, wo wir Liebe finden, überall, wo wir Freude empfinden, da können wir auch Gott treffen. Wir können Gott in uns selbst treffen, in den Menschen, die wir lieben, und natürlich in dem Großen und Ganzen."

Ihre Gottesbeziehung drückt sich im Alltag durch ständigen Dialog aus: „Ich spreche sehr viel mit ihm. Ich habe ganz, ganz häufig den Blick, der nach oben geht. Entweder weil ich mir denke 'Muss das schon wieder sein?' oder aus purer Dankbarkeit."

Engagement für andere

Aus ihrer eigenen Erfahrung heraus hat Lijana den Verein „Love always wins" gegründet, dessen Ziel es ist, „wieder mehr Liebe in die Gesellschaft zu bringen" und junge Menschen fit zu machen im Umgang mit den Sozialen Medien.

Mit ihrem Team besucht sie Schulen, um über Cybermobbing und Diskriminierung zu sprechen. Bei diesen Veranstaltungen ist stets auch ein Polizist in Uniform dabei, was dem Thema „eine wahnsinnige Ernsthaftigkeit" verleiht.

Darüber hinaus unterstützt der Verein eine Schule in Uganda, die von Lijanas Vater gegründet wurde. „Mein Papa kommt aus Uganda, ist damals mit dem Kirchenstipendium 'Brot für die Welt' nach Kassel gekommen, hat hier Maschinenbau studiert und weiß besser wie kein anderer, wie wichtig Bildung ist", erklärt sie.

Eine Zeit der Herausforderung

Auf die Frage, wie sie die letzten fünf Jahre ihres Lebens in drei Worten beschreiben würde, antwortete Lijana ohne zu zögern: „Herausfordernd. Nah bei Gott. Und liebevoll." Diese Worte spiegeln ihr Leben wider, das sich 2020 komplett änderte, als sie bei „Germany's Next Topmodel" teilnahm und bis ins Finale kam – um dann freiwillig auszusteigen.

Der Grund: Während der Ausstrahlung wurde Lijana Opfer massiven Cybermobbings. „Das war bei mir so extrem, dass ich sogar unter Polizeischutz gestellt werden musste", erzählt sie. „Ein Giftköder wurde in meinen Garten gelegt, um meinen Hund zu vergiften, und eine ernst zu nehmende Drohung ging beim Sender ein."

Was als Online-Belästigung begann, schwappte schnell ins reale Leben über. "Die Menschen standen bei mir vor der Haustür, meine Adresse wurde geleakt. Sie haben mir zugerufen, wenn ich rauskomme, prügeln sie mich windelweich. Ich wurde auf offener Straße beleidigt und bespuckt."

Besonders schmerzhaft waren die rassistischen Komponenten: "Sekündlich kamen Hassnachrichten und Beleidigungen. Viele, sehr viele waren rassistisch motiviert: Kommentare wie 'Affe, geh zurück in dein Land' oder 'ich bring dich um'."

Die beste Version seiner selbst

Heute inspiriert Lijana andere, „die beste Version ihrer selbst zu werden". Doch was bedeutet das für sie? „Viele denken immer, die beste Version von mir selbst muss morgens früh aufstehen, am besten schon um 6 Uhr eine Runde joggen gehen. Aber davon spreche ich gar nicht", erklärt sie. „Die beste Version von mir selbst ist die Version, die akzeptieren darf, dass ich ein Mensch bin. Und ein Mensch zu sein heißt, Fehler zu machen – nicht perfekt zu sein, sondern echt zu sein."

Diese Selbstakzeptanz ist für sie ein lebenslanger Prozess: „Selbstliebe ist eine Reise, die wird auch nicht zu Ende sein, wenn man 30, 40, 50, 60, 70 oder 80 Jahre ist. Es ist eine Aufgabe, jeden Tag wieder. Es ist eine Entscheidung, jeden Tag wieder."

Vom Model zur Sinnfluencerin

Auf die Frage, wie sie sich heute definiere, antwortet Lijana: „Die Frage ist: Was bin ich, wenn ich alles nicht mehr habe? Wenn ich meinen Job nicht mehr habe? Wenn ich meine Freunde nicht mehr hätte? Was ist die Quintessenz von dem, was ich bin, und was würde nie weggehen?"

Diese Erkenntnis hat auch ihre Präsenz in sozialen Medien verändert. Obwohl sie ursprünglich „den ganz klassischen, sehr oberflächlichen Weg" als Model gehen wollte, sieht sie sich heute als „Mindset-Influencerin": „Ich möchte auch immer noch gesehen werden, aber nicht für das, wie ich aussehe, sondern für das, was ich sage, für den Menschen, der ich bin."

Der Weg zu Gott

Ein entscheidender Wendepunkt in Lijanas Leben war ihre Taufe als Erwachsene im letzten Jahr. Der Auslöser: Ihre Schwester fragte sie, ob sie Patentante ihrer Nichte werden möchte. „Als wir dann bei der Pfarrerin saßen, hieß es, weil ich ja nicht getauft bin, habe ich die Wahl, entweder mich auch taufen zu lassen oder Patenzeugin zu werden. Und mir war klar, wenn ich mich taufen lasse, dann nur aus reiner Überzeugung."

Ein Plädoyer für liebevolle Kommunikation

Auf die Frage, warum sie trotz ihrer negativen Erfahrungen noch in sozialen Medien aktiv ist, antwortet sie: „Es ist so unfassbar laut und hasserfüllt auf Social Media – nicht, weil wir als Gesellschaft das toll und wichtig finden, sondern weil sich viele so zurückziehen. Aber ich glaube, es ist wichtig, dem etwas entgegenzusetzen."

Sie ist überzeugt: „Hass bekämpft man nie mit weiterem Hass und noch mehr Anfeindungen, sondern es muss jemanden geben, der auch Liebe auf diese Plattformen bringt." Besonders für die jüngere Generation, die „kein Leben ohne Social Media" kennt, sei dies wichtig: „Dieser Generation sind wir es schuldig, als erwachsene Menschen, die das schaffen können, da auch Liebe auf diesen Plattformen stattfinden zu lassen."

Lijana Kaggwas Geschichte ist ein beeindruckendes Zeugnis davon, wie man aus einer tiefen persönlichen Krise gestärkt hervorgehen kann. Ihr Weg von der Verzweiflung zu einem Leben voller Engagement für andere zeigt, welche Kraft im Glauben und in der Liebe liegen kann. Mit ihrer Botschaft erreicht sie heute viele junge Menschen – nicht mehr als Model, sondern als Vorbild für Selbstliebe, Authentizität und ein liebevolles Miteinander.

Wer Lijanas Verein „Love always wins" unterstützen möchte, kann entweder als ehrenamtlicher Mitarbeiter aktiv werden oder durch eine Spende helfen, noch mehr Schülerinnen und Schüler zu erreichen. https://lovealwayswins.de/

Die Feierabendgespräche sind eine Kooperation der Citypastoral, Kassel Marketing und der GALERIA.

Text: K. Leitschuh
Fotos: L. Fröbe