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Suizidprävention: Ein gesellschaftlicher Auftrag  

„Feierabendgespräch spezial“ mit Prof. Dr. Reinhard Lindner

Die erschreckenden Zahlen sprechen für sich: Jährlich nehmen sich in Deutschland etwa 10.000 Menschen das Leben. Doch die Zahl der von Suizidalität Betroffenen ist weitaus höher - rund 200.000 Menschen sind jedes Jahr direkt oder indirekt betroffen. Das entspricht der Einwohnerzahl einer Großstadt wie Kassel. Im Rahmen der Woche für Suizidprävention in Nordhessen sprach Kerstin Leitschuh in der Event Lounge am Kassel Service Point in der GALERIA mit Prof. Dr. Reinhard Lindner. Er ist Er ist Professor für Theorie, Empirie und Methoden der Sozialen Therapie an der Universität Kassel und Leiter des Nationalen Suizidpräventionsprogramms. Zudem ist er Psychotherapeut und Psychiater.

"Suizidal zu sein, also darüber nachzudenken, sich das Leben zu nehmen, ist menschlich", erklärt Prof. Dr. Reinhard Lindner im Gespräch. Der renommierte Experte für Suizidprävention macht deutlich, dass es jeden treffen kann. Besonders gefährdet sind allerdings ältere Männer - sie vollziehen dreimal häufiger Suizid als Frauen. Bei Suizidversuchen zeigt sich hingegen ein anderes Bild: Hier sind es vor allem junge Frauen, die betroffen sind.

Die Hauptursache für suizidale Gedanken in unserer Gesellschaft sind Trennungen. "Am Valentinstag wird uns besonders bewusst, dass man auch an der Liebe sterben kann - wenn sie abgebrochen, zerbrochen wird, wenn sie nicht gelingt", so Lindner. Auch schwere körperliche Erkrankungen können Menschen in scheinbar ausweglose Situationen bringen - wobei weniger die Krankheit selbst, sondern vielmehr die seelischen und sozialen Folgen ausschlaggebend sind.

Suizidprävention fängt bei der Frage an, wie wir in der Gesellschaft und im einzelnen miteinander über die schwierigen Dinge des Lebens reden. Lindner: „Suizidprävention beginnt da, wo wir miteinander ins Gespräch kommen, wenn das Leben nicht so perfekt läuft.“

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Gesprächs war die Rolle des Suizidpräventionsnetzwerks Nordhessen, das diverse Akteure wie Kliniken, Therapeuten und Beratungsstellen zusammenbringt. Lindner hob die Bedeutung der Vernetzung und des Austauschs hervor: „Wir wollen uns vernetzen, uns austauschen, damit wir voneinander wissen.“

Präventionsarbeit im Wandel

Die Bundesregierung hat das Problem erkannt und arbeitet an einer nationalen Suizidpräventionsstrategie. Geplant ist unter anderem ein 24-Stunden-Beratungstelefon - nicht nur für Betroffene, sondern auch für Angehörige und Fachkräfte. Besondere Herausforderungen gibt es bei der Prävention für ältere Männer: "Sie fallen durch die Maschen des gesamten Gesundheits- und Sozialsystems", warnt Lindner. Neue Ansätze, etwa über digitale Medien, könnten hier künftig eine wichtigere Rolle spielen.

Wünsche an die Kirchen

"Ich glaube, die Kirchen befinden sich bereits seit langem auf einem sehr guten Weg, wenn es darum geht, das Tabu Suizid anzugehen“, sagt Lindner. Insbesondere haben sie dazu beigetragen, die Angst zu mindern, die manche Menschen noch immer haben - dass Suizid eine Sünde sei oder dass man dadurch in schwere Not gerät. Lindner wünscht sich allerdings, dass die Kirchen deutlicher kommunizieren, dass sie Menschen in schwierigen Lebenssituationen begleiten.

Was können wir tun?

Der wichtigste Rat des Experten: "Sprechen Sie das Thema an, wenn Sie sich Sorgen um jemanden machen. Über Suizidalität zu sprechen bedeutet nicht, dass sie jemanden erst darauf bringen", betont Lindner. Im Gegenteil: Viele Betroffene denken bereits darüber nach, trauen sich aber nicht, darüber zu sprechen. Verstärkte Öffentlichkeitsarbeit ist notwendig, um Menschen zu ermutigen, offen über Suizidgedanken zu sprechen und die verfügbaren Hilfsangebote zu nutzen. Lindner betonte schließlich: „Es gibt Hilfe, suche sie dir.“

Konkrete Handlungsempfehlungen:

  • Sprechen Sie offen über das Thema
  • Vermitteln Sie, dass es Hilfsangebote gibt
  • Unterstützen Sie bei der Suche nach professioneller Hilfe
  • Bleiben Sie dran, auch wenn ein erster Hilfsversuch nicht erfolgreich war

Die Bibel kann uns Vorbild sein: Dort werden zwölf Suizide erwähnt, und keiner davon wird verurteilt. "Die uralten Texte sprechen sehr freundlich, eher traurig über die Menschen, die einen Suizid vollzogen haben", erläutert Lindner. Diese mitfühlende Haltung könnte auch für unseren heutigen Umgang mit dem Thema wegweisend sein.

Fazit

Suizidprävention ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Sie beginnt damit, wie wir miteinander über schwierige Lebenssituationen sprechen. Eine gute psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung, die Kontrolle von Suizidmitteln und vor allem das offene Gespräch über seelische Krisen sind wichtige Bausteine der Prävention. Jeder Einzelne kann einen Beitrag leisten - durch Aufmerksamkeit, Mitgefühl und die Bereitschaft, auch über schwierige Themen zu sprechen.

Hilfsangebote:

Wenn Sie sich jemandem anvertrauen wollen:
Bei der Telefonseelsorge erreichen sie rund um die Uhr jemanden unter Tel.: 0800 1110111 / 0800 1110222 oder 116 123

Auch E-mail und Chatseelsorge ist möglich: www.telefonseelsorge.de

Weitere Hilfsangebote finden Sie hier: https://www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote/hilfsangebote/

Das „Feierabendgespräch spezial“ war eine Kooperationsveranstaltung der Citypastoral, der Akademie für Palliativmedizin, Palliativpflege und Hospizarbeit Nordhessen und Kassel Marketing im Rahmen der Woche für Suizidprävention.